Unsere Soteria-Arbeitsgruppe: Stand der Diskussion
Der
Begriff Soteria stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet
Rettung, aber auch Wohl, Heil und Bewahrung. Im
psychiatrischen Kontext ist damit eine alternative
stationäre Behandlung von Menschen in psychotischen Krisen
gemeint. Diese soll mit zurückhaltendem Einsatz von
Medikamenten und wenig Zwangsmaßnahmen in offenen,
wohnlichen Einrichtungen erfolgen.
Wir
KLuWler möchten eine solche Einrichtung in Dortmund
etablieren und haben zu diesem Zweck eine Arbeitsgruppe
gegründet.
Entwickelt wurde das alternative Behandlungsmodell im
Zuge der Antipsychiatriebewegung seit den 1960er Jahren. Die
erste Einrichtung dieser Art wurde 1971 in Kalifornien (USA)
vom Psychiater
Loren Mosher gegründet. In Bern (Schweiz)
führte der Schizophrenieforscher
Luc Ciompi
die Methode in Europa ein und wählte für sein Projekt den
Begriff Soteria. In Deutschland gibt es seit 1999 in
Zwiefalten und seit 2003 in München Soteria-Einrichtungen.
Mehrere Kliniken in Deutschland haben mit Erfolg
Soteria-Elemente, zum Beispiel weniger Zwangsmaßnahmen, in
psychiatrische Akutstationen für alle Diagnosen eingebunden.
Die Arbeit Ciompis
Zum Verlauf schizophrener Psychosen formulierte Ciompi ein
eigenes psycho-sozio-biologisches Schizophreniemodell, um
daraus eine spezielle Behandlungsmethode zu erproben. Das
zentrale Anliegen der Soteria (Bern) liegt in der
Abschirmung von verwirrenden Umwelteinflüssen und der
kontinuierlichen Stützung in tragenden zwischenmenschlichen
Beziehungen (vgl. Soteria im Gespräch 1992). Dabei steht das
subjektive Erleben psychotischer Menschen im Vordergrund.
Ciompi sieht in der Soteria die Hoffnung auf und die Suche
nach einer besseren Schizophreniebehandlung, das heißt ein
milieutherapeutisches Konzept ohne Medikation bzw. so wenig
wie möglich.
Des Weiteren sieht er, dass das affektive und das
intellektuelle kognitive Zusammenspiel nicht getrennt
voneinander zu sehen sind. Also prägte er den Begriff der
Affektlogik, welcher eine umfassende Theorie zum
Zusammenwirken von Fühlen und Denken beschreibt. Der Begriff
setzt sich zusammen aus Fühlen (Affektivität) und Denken
(Logik). 1982 veröffentlichte Luc Ciompi sein Konzept der
Affektlogik erstmals in Buchform, welches seither in vielen
Publikationen weiter entwickelt wurde.
Mit dem Konzept der Affektlogik (vgl. Affektlogik, über die
Struktur der Psyche und ihre Entwicklung, 1982), vertritt
Ciompi eine Vulnerabilitäts- und
Informationsverarbeitungshypothese. Er geht davon aus, dass
es sich bei den Betroffenen um besonders sensible,
dünnhäutige, verletzliche Menschen handelt, die mit
komplexen affektiv-kognitiven Belastungen, insbesondere im
zwischenmenschlichen Bereich, z. B. Tod, Trennung, Partner-
und Berufswahl, weniger gut klar kommen als andere. Nach
Ciompi wird das Verrücktwerden als Entwicklungskrise
begriffen; eine Chance des Reifens mit konstruktiven
Entwicklungsmöglichkeiten.
Wünschenswertes
und die Realität
Nach Mosher (dabei sein, Psychosoziale Arbeitshilfen,
Treatment at Soteria house - A manual for the practise of
Interpersonal phenomenology, 1992) gibt es im Umgang mit dem
Wahnsinn Alternativen. Seiner Meinung nach ist eine
Wohngemeinschaft für psychisch Kranke sinnvoller und
hilfreicher als jede Klinik. Aus Zeitmangel ist das
Soteriaprojekt in Kliniken nicht lebbar, auch wenn es sich
seine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit erarbeitet hat.
Wünschenswert ist, politische Machtverhältnisse zu
überwinden, doch die Realität zeigt uns, Ärzte,
Krankenhäuser und die Pharmafirmen haben zu viel Macht, um
diesen Gedanken umzusetzen. Nicht Ausgrenzung sondern
Wertschätzung, Bestätigung, Aufmerksamkeit und Stärkung
fördert das Wohlbefinden und die Lebensqualität der
Patienten. Wir legen mit Respekt und Achtung vor der
Menschlichkeit unser Beweismaterial aus eigenen Erfahrungen
vor.
Wie sieht der Klinikalltag aus? Der Klinikalltag kann dem
Patienten nicht gerecht werden. Er wird bestimmt durch
einen hektischen und intensiven Arbeitsablauf. Die
Technologie bestimmt den persönlichen Kontakt.
Teambesprechung, Aufnahmeinterviews, sind Angebote, die den
Patienten nicht erreichen und nehmen viel Raum in Anspruch.
Aus Zeitmangel können oft Absprachen nicht eingehalten
werden und das führt für den Patienten zur Desorientierung.
Das Wertsystem der Klinik und die medizinischen
Erklärungsmodelle stimmen nicht mit dem Patienten überein,
sowohl für Mitarbeiter und Patienten ist es eine
Überforderung, beide Seiten haben zu wenig Zeit für
einander. Dienstplanung und Teamkonflikte bestimmen
hauptsächlich den Rahmen, das hat zur Konsequenz, dass die
Patienten durch den Klinikapparat durchgeschleust werden.
Die Klinikrealität spiegelt uns die Problematik wieder und
wird dem Patienten nicht gerecht.
Handeln aus
eigener Betroffenheit
Wir kamen auf die Idee, uns selber mit dem Thema Soteria zu
beschäftigen. Zum einen interessiert uns Soteria, weil wir
immer wieder mit Krisen von Kluwlern zu tun haben. Wir haben
langjährige Erfahrung mit unseren psychischen Krisen fertig
zu werden. Zum anderen hätten wir Lust, Leute die aus der
Klinik kommen zu unterstützen und ihnen einen Rahmen zu
bieten, die Klinik früher zu verlassen.
Aus eigener Betroffenheit wissen wir was wir brauchen und
was uns gut tut. Uns geht es nicht darum, Krankheitsbilder
(Alkohol, Sucht, Depression, Psychosen,
Persönlichkeitsstörungen, Manien) zu sortieren, sondern mit
der Störung adäquat zu leben und noch mehr gesellschaftliche
Integration zu finden bis hin zur Lebensqualität.
Die Grundidee von Soteria ist, statt auf Symptomfreiheit auf
Lebensqualität hin zu arbeiten. Die Grundeinstellung der
Medizin dagegen ist eher, Krankheiten zu beseitigen.
Bei vielen somatischen Krankheiten haben die Mediziner
wirklich schnell und gezielt wirkende Heilmittel. Bei
Psychosen sieht das so gut nicht aus, es werden meistens
über längere Zeit verschiedene Mittel ausprobiert mit z. T.
umstrittenen Resultaten und oft mehr oder weniger gegen den
Willen des Patienten. Was bleibt ist dann nur das
Vulnerabilitätskonzept, dass man guckt, dass der Patient
nicht zuviel und nicht zuwenig Stress hat. Das
Stressreduzieren hilft meistens auch, aber ein spezifisches
Heilmittel, das schnell die Krankheit heilt, ist es nicht.
Wie bei vielen anderen chronischen somatischen Krankheiten
auch fehlen potente Heilmittel, und der Mensch als Ganzes
ist gefordert, mit einer besseren und den Schädigungen
angepassten Lebensführung seine Krankheit in den Griff zu
bekommen. Aus einem ganzheitlichen Menschenbild heraus
arbeitet man sowieso eher für den Menschen anstatt gegen
seine Krankheit. Es kommt in der Psychiatrie öfter vor, dass
in dem Versuch, Symptome zu reduzieren, die Lebensqualität
des ganzen Menschen geschmälert wird, ohne dass das dem
Patienten viel nützt.
Neben der Bekämpfung der Symptomatik ist die Vermeidung
einer Hospitalisierung mindestens genau so wichtig. In einer
entspannten Atmosphäre, z. B. in der Soteria, kann man oft
mit weniger Neuroleptika ein tragbares Miteinander
erreichen. Man ist dann aktiver und leistungsfähiger, was
dann mehr Möglichkeiten einer sinnvollen Beschäftigung
bietet. So kann man einen Abbau von Lebenskompetenz
reduzieren, der bei längeren Klinikaufenthalten das Ausmaß
der Schädigung durch die Krankheit selbst erreichen kann.
Es ist ja nicht so, dass keine Hoffnung mehr besteht, wenn
man eine Krankheit hat, die schlecht mit spezifischen
Heilmitteln zu beseitigen ist. Gesundheit bedeutet im
Prinzip immer, dass man kleinere Störungen einfach mit ins
Leben nimmt und trotz diverser Zipperlein sich auf seine
Möglichkeiten besinnt. Eine gesunde Lebenseinstellung, was
das auch im Einzelnen immer ist, und eine an Defizite
angepasste Belastung sind letztlich immer die Vorraussetzung
für relative Gesundheit. Am Ende geht es um Ressourcen und
Mängel, die nicht bewertet werden. Dabei geht es um die
Akzeptanz sowohl der Mängel als auch der Ressourcen. Die
Lebensqualität klebe ich nicht an meinen Mangel, sondern
lebe mit meinen Ressourcen und dem Mangel. So eine
Lebenseinstellung hat einfach das Potential für eine höhere
Lebensqualität, weil man sich einfach nicht unnötig
verrückt macht.
Aus den Störungen kann man manchmal einen Stil entwickeln.
Wir können unsere Möglichkeiten wahrnehmen anstatt auf eine
Gesundung zu warten und erst danach das Leben fortzusetzen.
In der Psychoszenen-Subkultur kann man sich gut bewegen,
weil man dort nicht bei kleineren Symptomen gleich
ausgegrenzt wird. Im Miteinander sich verbinden und nicht
vereinsamen, nicht in Langweile versanden.
Zeit für Gespräche haben, zusammengebrochene Weltbilder
reparieren. Das fällt den Professionellen meistens schwer,
weil die Wirklichkeit der Kranken das Weltbild der
Professionellen meistens verlässt. Mit Medikamenten kann man
keine Weltbilder reparieren. Gespräche unter
Psychiatrieerfahrenen sind dagegen auf diesem Gebiet oft
hilfreich. So kann man Lebenslügen aufgeben und einen Weg
finden, in der Wahrheit zu leben.
Auf das Alltagsleben konzentrieren. Gut und preiswert
kochen, Kräuter sammeln, Tabak anbauen, um die Armut zu
entschärfen, in die man durch psychische Krisen meistens
gerät und sich auf diese Art schon mal einen Grundstock an
sinnvoller Beschäftigung schaffen.
Nicht mit sinnloser Suche nach einem Arbeitsplatz die
Fähigkeit gefährden, das Alltagsleben zu meistern. Als
erstes steht, selbständig und selbstbestimmt leben zu
können, weil das vollkommen ausreicht, teure
Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Einen Arbeitsplatz zu
haben ist da unwichtig, sofern man sich zu beschäftigen
weiß.
An alternativen Beschäftigungen arbeiten, anstatt sich für
einen Arbeitsmarkt fit zu machen, der nicht existiert. Auch
der zweite Arbeitsmarkt für Behinderte ist für viele vom
Arbeitspensum her zu viel, aber von der Art der Arbeit nicht
anspruchsvoll genug, um eine gesunde Beschäftigung zu
bieten. Man kann auch künstlerisch, kreativ oder sozial
engagiert sich "Neue Arbeit" suchen im Sinne von Fritjof
Bergmann. Siehe auch weiter unten: "Arbeit, die man
wirklich, wirklich machen will". Sich einfach Arbeit
nehmen, anstatt darauf zu warten, dass man etwas Passendes
bekommt.
Gut, darüber
gesprochen zu haben?
Vielfach ist in der Soteria-Literatur die Rede von der
Aufarbeitung und Verarbeitung von Psychosen und vom Sinn von
psychotischen Krisen. Bei uns gehen die Meinungen darüber,
was das im Einzelnen ist, weit auseinander. Klar ist, dass
psychotische Krisen vom Inhalt her nur teilweise so
interessant sind, dass es sich lohnt, sich damit
eingehender zu beschäftigen. Oft sind die Krisen auch eher
uninteressant. Man kann aber an den Krisen wachsen, um sich
ein neues besseres Ich zusammenzubauen und seinen Horizont
z. T. erheblich erweitern. Wir kennen aber auch einige
Leute, die mit ihrer Psychose sehr wenig anfangen können.
Leute, die nur irritiert und froh sind, sich damit nicht
beschäftigen zu müssen.
Auf jedem Fall kann man seine Psychose erst verarbeiten,
wenn man soweit aus einer Akutphase raus ist, dass man
wieder urteilsfähig ist. Wir wissen nicht generell wie da zu
verfahren ist, wir müssen im Einzelfall gucken, was mit den
konkreten Leuten geht. Auf jedem Fall werden wir mit unserem
angestrebten Projekt auf dem Gebiet neue Erfahrungen machen
können.
Was könnten wir konkret als Kluwprojekt einstielen?
Das ursprüngliche Soteria-Konzept bezieht sich auf die
Behandlung von schizophrenen Ersterkrankungen und auf nicht
gewalttätige Patienten. Wir wären da weniger wählerisch,
wir holen die Leute da ab wo sie sind und gucken, was wir
machen können. Wichtig für uns ist, dass die Leute
kulturinteressiert sind, kreativ, neugierig aufs Leben und
bereit sind, eigene Wege zu gehen. Am besten noch selber
künstlerisch produktiv. Das erklärt sich aus unserer eigenen
kulturellen und künstlerischen Aktivität, für die wir auch
noch Mitstreiter suchen.
Eine oder zwei Wohnungen in der Nachbarschaft zum KLuW
(44145 Dortmund, Münsterstr. 114) anmieten und diese mit
interessierten Studenten der Medizin, Psychologie oder
Sozialpädagogik, mit stabilen Psychiatrieerfahrenen oder
Ärzten im Praktikum oder Altersteilzeit besetzen. Dort dann
Patienten aus der Klinik als Wohngemeinschaftsmitglied
aufnehmen, die zwar bei uns schon integrierbar wären, aber
in ihrem Zustand nicht sofort wieder "nach Hause" können.
Unsere Arbeit fängt da an, wo Menschen um Hilfe bitten und
selbst ihre Situation verändern möchten und trotz
Einschränkung nach Motivation für ein lebenswertes Leben
suchen. Die nach Leuten suchen, mit denen sie was zusammen
machen können. Viele psychisch Kranke suchen die
Gemeinschaft mit Kollegen, bringen aber nicht die volle
Anforderung an Leistungsfähigkeit mit, die ein Arbeitsplatz
mit sich bringt. Wir suchen die Klienten, die in Tagesstätte
oder Behindertenwerkstatt nicht ihr Ding finden, aber doch
was machen wollen. Spaß und Freude sind bei uns mehr ein
Element als Leistung, dennoch geht es nicht nur nach dem
Lustprinzip, um Dinge zu verwirklichen bedarf es einer
Anstrengung.
Integration in
"das System KLuW"?
In der gemischten Wohngemeinschaft dann mit diesen Leuten
ein möglichst entspanntes Alltagsleben führen und wo es
geht positiv auf die Leute einwirken. Die Möglichkeit des
Rückzuges für die Klienten wäre genau so wichtig wie die
Leute in interessante Aktivitäten einzubinden. Wenn nichts
anders geht, versorgen wir auch gerne die Leute, auf die
Dauer kommen wir ins Gespräch, da gehen wir von aus.
Gemeinsam den Alltag bewusst und intelligent zu gestalten,
zusammen mit kreativen gemeinsamen Aktivitäten wie z. B. der
Produktion unserer Vereinszeitung, schafft eine Atmosphäre,
konkret im Leben zu stehen ohne sich überflüssigen Stress zu
machen.
Wir setzen unseren Kopf ein, um das hinzubekommen, was wir
wirklich möchten und was funktionieren kann und nutzten in
dem Zuge unsere Möglichkeiten. Daraus ist hier unsere eigene
Selbstversorgung mit Kräutersammeln, Tabakanbau und auch
kultureller Eigenproduktion geworden. Das wollen wir noch
weiter ausbauen und freuen uns über jeden, der da mitmacht
und das Projekt auch mit weitertreibt.
Leute aus dem Verein oder andere Externe könnten dann eine
gewisse Betreuung in den Wohnungen übernehmen. Also beim
Alltagsleben helfen, Gespräche führen oder an Problemen und
Konflikten der Klienten arbeiten. Die Klienten können wir
darüber hinaus in die Aktivitäten des KLuW e. V. einbinden.
Nach Möglichkeit sollte dann ein mittelfristiges Konzept für
den Klienten ausgearbeitet werden, dass der wieder auf die
Füße kommt. Nach 1 Monat bis 1 Jahr können die Klienten dann
woanders weiter versuchen, ein brauchbares Leben zu führen.
Die Leute würden ganz normal beim Betreuten Wohnen sein,
aber wir würden dann das leisten, was das Betreute Wohnen
nicht leisten kann. Mit der Klinik und den behandelnden
Ärzten würden wir dann gerne zusammenarbeiten. Wir als
selbst Betroffene möchten mit wenigen Hierarchien arbeiten,
brauchen mehr Menschlichkeit und Wertschätzung. Die
Diagnosen helfen uns wenig weiter, unseren Lebensalltag zu
gestalten. Unsere Sensibilität hilft uns zu entscheiden,
welche Medikamente uns gut tun und welche weniger geeignet
sind.
Wir sind hier in der Lage mehr Zeit zu haben als die Ärzte
und das Pflegepersonal. Wir haben die Zeit, das zu machen
was gebraucht wird. Wenn einer z. B. mit seinem Geld nicht
auskommt, braucht er konkrete Maßnahmen, Ausgaben
einzusparen oder die Einnahmen zu verbessern. Durch eigene
Erfahrungen sind wir in der Lage, viele entscheidende
Hilfestellungen zu geben, z. B. eigene Keilrahmen herstellen
und mit irgendwo abgestaubten Stoffen beziehen. Wir
erkennen die Not und wir kennen auch Lösungen.
Praktischerweise würden wir mit psychisch kranken Künstlern
oder zumindest Kulturinteressierten anfangen, weil wir da
die meiste Erfahrung aus unserem eigenen Leben mitbringen.
Die könnten wir dann gut in die Vereinsaktivitäten einbinden
und vielleicht auch in die Künstlergruppe Künstler-WG
aufnehmen. Das auch weit über die Zeit bei uns hinaus. Das
könnte ein spannendes Projekt werden.
Ende gut, alles gut?
Unsere Arbeit endet da, wo die Leute unsere Hilfestellung
nicht mehr brauchen und woanders ihren Weg gefunden haben.
Es wäre schon wünschenswert, dass die Leute ihren eigenen
Weg finden. Es kann aber auch sein, dass der eine oder
andere hier bei uns richtig mitmacht und weiter an unseren
Projekten mitarbeitet oder eigene Projekte ins Leben ruft.
Unsere eigene Kunst und unsere Gemeinsamkeit hier ist uns
selbst ja auch Aufgabe und Lebensweise. Das Wichtigste ist
aber, dass sich die Leute in ihrem Alltag gut bewegen
können. Diese Grundlage taugt eigentlich für jede Art von
Karriere, die für psychisch Kranke infrage kommt.
Es kann auch passieren, dass wir mit einzelnen Klienten auf
Dauer nicht klarkommen, die können dann probieren, woanders
in der Reha-Szene ihren Weg zu finden. Wir können auch nicht
alles. Klienten können auch von hier aus ganz normal in
einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfB) unterkommen.
Wer soll das bezahlen?
Als Geldgeber kämen all die in Frage, die dadurch eigene
Kosten sparen können. Also Krankenkassen wegen weniger
Klinikaufenthalte und geringerer Ausgaben für Medikamente,
sowie die Kostenträger von Kontaktstellen, Tagesstätten,
Behindertenwerkstätten oder vom Berufliches Trainingszentrum
Dortmund GmbH (BTZ). Organisiert vielleicht auch über das
persönliche btzBudget für behinderte Menschen.
Die Finanzierung fördern würde, dass wir hier einen
Selbsthilfeanteil im Projekt haben, der die Kosten erheblich
reduzieren kann und dass wir das Potential haben, den
Leuten auch von Fall zu Fall wirklich zu helfen.
Mittelfristig könnte die Finanzkrise uns entgegenkommen,
wenn dann die Kostenträger wirklich sparen müssen. Bisher
sieht es so aus, als würden die Gelder zwar eigentlich
reichlich fließen, aber man kommt da schwer rein, weil das
mit den vorhandenen Einrichtungen alles ausgekungelt ist.
"Arbeit, die man wirklich, wirklich machen will"
Anfang 2009 haben wir uns mit Fritjof Bergmann beschäftigt.
Sein Buch "Neue Arbeit, Neue Kultur" beschreibt den Versuch,
die soziale Realität philosophisch konsequent zu
verarbeiten. Kernaussage ist, dass man angesichts der weiter
fortschreitenden Automatisierung in der Arbeitswelt die
Möglichkeit und gleichzeitig die Notwendigkeit hat, sich
andere, nicht erwerbsorienterte Arbeit zu suchen. In dem
Zusammenhang spricht Fritjof Bergmann von der "Arbeit, die
man wirklich, wirklich machen will".
Die Situation für uns psychisch Kranke verschärft das
ohnehin schwierige Problem, in der heutigen Zeit einen
vernünftigen Arbeitsplatz zu finden. In dem Sinne betrifft
es uns ganz akut, dass wir uns selbst eben Arbeit nehmen
müssen. Das haben wir auch schon gemacht, bevor wir
Fritjof Bergmann gelesen haben. Dennoch war dieses
Buch für uns sehr interessant, zeigte sich uns doch, dass
unser Problem nicht nur für die Psycho-Szene, sondern mit
steigender Tendenz ein Problem für die gesamte Gesellschaft
ist.
Das System Wirtschaft ignoriert die Bedürfnisse der Menschen
weitgehend, die Arbeitslosen müssen alles versuchen einen
Arbeitsplatz zu finden. Welche Arbeit sie für ihr Bedürfnis
z. B. nach Kontakt zur Welt brauchen, kommt nirgendwo vor.
Die Erwerbsarbeit wird zum Absoluten erklärt. Es ist der
größte Betrug, dass die Erwerbsarbeit einfach fehlt, mit
steigender Tendenz, und der Arbeitslose allein ein Problem
lösen soll, an dem er gar nichts machen kann. Unsere
Betreuer verwenden die Hälfte ihrer Zeit darauf, die
Maßnahmen ihrer staatsdienenden Kollegen von der ARGE soweit
wieder hinzubiegen, dass der Betreute überhaupt leben kann.
Zum Teil sind sogar unsere professionellen Betreuer damit
überfordert, wie sollen das die normalen Arbeitslosen
erstmal hinkriegen?
Wie dem auch sei, wir wollen leben und beschäftigen uns
selbst. Mit Erfolg, wenn man sich einmal diese Aufgabe
stellt, und jahrelang daran arbeitet, findet man "Arbeit,
die man wirklich, wirklich machen will". Wir hoffen, dass
wir manch einem Menschen dabei helfen können, sich eine
angemessene Beschäftigung zu erarbeiten, auch außerhalb der
Sinnzusammenhänge der Erwerbsarbeit.
Den nächsten Schritt tun
Unsere Soteria-Arbeitspruppe hat erst einmal den Sinn, hier
die Möglichkeiten auszuloten. Ob wir in Zukunft tatsächlich
dauerhaft aktiv in der Versorgung von psychisch Kranken
werden und ob wir die notwendigen finanziellen Mittel dafür
auftreiben können, wissen wir noch nicht. Bevor wir unser
Soteria-Haus haben, schlagen wir die Brücke von der Klinik
zu unserer Künstler-WG und dem KLuW e. V. und geben unsere
Erfahrung an die Menschen weiter.
Erst einmal suchen wir noch Leute, die mitmachen wollen oder
auch nur mitdiskutieren wollen. Leute, die sich ernsthaft
dafür interessieren, psychisch Kranken besser zu helfen.
Als nächsten Schritt planen wir, Klinikpatienten auf
Wochenendurlaub probeweise unentgeltlich aufzunehmen, die
nicht so recht wissen, wo sie das Wochenende verbringen
sollen. Am besten Künstler oder kulturinteressierte Leute.
(Heidemarie Waldstädt, Nicola
Waldstädt, Tobias Jeckenburger)
Literatur zum Thema
Luc Ciompi, Holger Hoffmann, Michel Broccard (Herausgeber)
Wie wirkt Soteria? Eine
atypische Psychosenbehandlung kritisch durchleuchtet.
Online-Ausgabe 2011 ISBN 978-3-89670-802-1 2011
Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg
Aebi, Elisabeth; Ciompi, Luc Ciompi; Hansen, Hartwig
(Herausgeber)
Soteria im Gespräch
Psychiatrie-Verlag (1996) ISBN-10: 3884141422
ISBN-13: 978-3884141427
Hans-Peter Dauwalder, Luc Ciompi (Autoren)
Zeit und Psychiatrie
Sozialpsychiatrische Aspekte
ISBN-10: 3456818998 ISBN-13: 978-3456818993 Verlag: Huber, Bern
(1990)
Unser Buchtipp
Neue Arbeit, neue Kultur
Von Frithjof Bergmann (Autor), Stephan Schuhmacher
(Übersetzer) Arbor-Verlag (5. Januar 2004) ISBN-10:
9783924195960 ISBN-13: 978-3924195960
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