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zur Chronik
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Text des Monats
Auszeit meiner Seele
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Eigentlich lief alles wie gewünscht und geplant: Schullaufbahn, Abitur, Studium, Arbeit. Dann aber kam ein Fall,
der seinesgleichen sucht und mir alles nahm: Sicherheit, Geld, Beziehungen, mein Leben.
Ich wachte plötzlich im Nichts auf. Zuvor schlief und litt ich. Ich lebte wie in einer blinden Welt, ich dachte
die Welt sieht mich nicht, die ich mir mit materiellen und unnützen Werten erhellte. Ich war angepasst und
erfolgreich und fiel nicht weiter auf. Und merkte nicht, getragen vom äußeren Erfolg, dass ich meine Kräfte
verschlang. Ich zehrte mich selber auf, verbrannte mich. Nur mein Herz schlug noch und hielt mich als stiller
Rest verborgener Wünsche am Leben. Ich schlief und litt.
Das Verborgene und Dunkle in mir musste dann seine traurige Arbeit verrichtet haben: blinde Wünsche nach
Anerkennung und Liebe suchten den Weg in ein falsches Licht, das mir eine heile Welt materieller Werte
vorspielte. Ich vergaß mich, ohne mich zu kennen.
Blinde Wünsche nach meiner Stellung in der Welt suchten den Weg in ein falsches Licht. Meine Eltern liebten
mich, auch wenn sie mir dies niemals sagten. Ich wurde geliebt und wuchs als liebender Mensch auf. Ich war
liebesfähig, ohne jedoch auf die Frau zu treffen, die mich wirklich sah. So kam ich zu einer Tochter, die ich bis
heute nicht kennen darf.
Das hat sich nun geändert, da ich einer Frau begegnet bin, die ich meine. Ich liebe. Ich liebe anders als sonst,
nicht blind, sondern mit Gefühlen, die mich sehend machen, weil ich gesehen werde, mit all meiner Schwäche
und meinen Stärken. Ich erwache und erstarke. Ich kann sein wie ich bin und liege nicht mehr am Boden.
Ich wache.
Noch knie ich, mit aufrechtem Kopf und geradem Blick, die Lider geöffnet. Ganz langsam beginne ich nun, mich
wieder aufzurichten.
Ich fiel ja ganz sanft. In unmerklichen Schritten kam ich über Jahre zu Fall. So musste mir der Fall zwangsläufig
sogar angenehm vorkommen. Ich war ja nicht erfolglos. Und genoss die Früchte des Erfolges in blinden Zügen.
Ich knie und möchte aufstehen, nein, ich möchte gehen und wandern, mehr Teil dieser wunderbaren Welt
werden. Ich möchte schwimmen.
Noch knie ich still und muss mich zwingen, nicht jetzt schon zu laufen. Ich würde wieder stürzen, ertrinken.
Nur nicht zu früh.
Nicht wieder die Augen schließen, nicht blind agieren wie einst. Und was soll ich tun? Diese Frage darf ich mir
gar nicht stellen. Es geht ja nicht ums Tun. Alte Muster muss ich vermeiden. Sinnvoller Zwang. Erst muss ich
schauen. Ihre Augen sind tief und braun. Hier liegt mein Sinn, mein Jetzt, mein Heute.
Und der Morgen erwachte. Der neue Tag ist da. Er wartet nun auf mich. Er stellt keine Forderungen und
überlässt mich mir selbst.
Einen Tag habe ich, diesen einen. Er soll für alle darauf folgenden stehen. Ich wache. Ich bin ausgeruht.
Die Nacht ging doch über Jahre. Ich wache. Nun lerne und wachse ich.
(Thomas Morgenstern)
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