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zur Chronik
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Text des Monats
Unvorhersehbares Chaos
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Die Welt, mit der wir Menschen zu tun haben, ist komplex. Sie besteht aus Natur, Ressourcen,
Technik, Ideen, Produktionsmöglichkeiten, Persönlichkeiten, Finanzströmen, Gruppendynamik,
Religionen und Ideologien, dem Wirken des Geistes in uns und in der Welt und den 10000
verrückten Sachen, die uns Menschen jeden Tag einfallen.
Jeder von uns 7 Milliarden Menschen ist schon selbst komplexer als die Physik des gesamten
Universums. Und aus dem Zusammenspiel zwischen uns Menschen, das immer wieder neue Wege geht,
ergibt sich dann das Beziehungsgeflecht, das einen wesentlichen Teil des Weltgeschehens ausmacht.
Auf diesem Hintergrund ist Unverständlichkeit und Unvorhersehbarkeit selbst das bestimmende Faktum
auf dieser Welt. Was die Medienlandschaft im Zusammenspiel mit den Regierungstätigkeiten daraus
macht, ist wirklich erstaunlich geschlossen und erscheint so überschaubar wie eine Märchengeschichte
für kleine Kinder. Die Unvorhersehbarkeit wird da zur Ausnahme, scheinbar klar sind die
gesellschaftlichen Bewegungen und die politische Agenda. So zusammengekürzt, und mit penetranter
Unterschlagung der vielen unüberschaubaren Vorgänge in der Realität, wird uns ein extrem gefilterter
kleiner schmackhafter Cocktail Tag für Tag, Häppchen für Häppchen, eingeschenkt. Ein Trugbild der
Realität entsteht, das mich nur noch nervt, und fürchterlich langweilt.
Wenn man da nur sporadisch mal reinguckt, was Presse und Fernsehen da gerade für uns zusammenbrauen
und versuchen uns einzutrichtern, ist man eher verwundert, wieso dies oder das gerade mal Thema ist.
Das ein paar scheiss Bomben von ein paar kranken Idioten solche Wellen schlagen können, ist
unglaublich. Als wären die Terroranschläge alle in deinem Wohnviertel eingeschlagen, wird dir das
aufgetischt. Dabei verteilt sich das alles auf eine ziemlich große Welt. Der Straßenverkehr ist hier
immer noch mindestens 100 mal gefährlicher.
Ob man sich einen Fahrradhelm kauft oder nicht ist hier ein Thema, ein kleines Thema noch, mit dem
man wirklich viele Leben retten kann. Im Vergleich dazu ist der Terroristenmist wirklich
völligstens uninteressant, zumindest was seine vergleichsweise sehr geringe Gefährlichkeit angeht.
Der Medienrummel darum ist ja noch schlimmer, als wenn von morgens bis abends Berichte über
Fahrradunfälle gesendet würden, und nur noch über Farhrradhelme geredet würde. Grauenhaft.
Was jetzt wirklich passiert in unserem Leben ist eher privat, was die Liebe macht, wenn einer
schlimm krank ist oder wer wo und wie arbeitet, wie wir das Leben erleben, wie wir lernen und wie
wir scheitern oder Erfolg haben mit unseren eigenen kleinen Projekten. Was da passiert in unserem
Leben, sich damit zu beschäftigen, das ist Kultur.
Hier fängt die Unvorhersehbarkeit doch an Spaß zu machen, hier lohnt es, sich die Zeit zu nehmen,
das Chaos des Lebens in seiner Entwicklung in Ruhe zu beobachten. Es gibt die tiefen menschlichen
Fragen, die man gerne stellt, was man gerne wissen möchte. Aber ich finde es viel besser,
unbeantwortete Fragen so stehen zu lassen, die Komplexität des Lebens zu respektieren und sich mit
offenen Augen das real existierende Chaos anzugucken.
Religionen gehen auch wirklich respektlos mit Wirklichkeit um, das ist dasselbe Märchenspiel wie
das der Massenmedien. Da wird die Neugier genutzt, man will gerne wissen, wie alt man wird, wann
man stirbt, was danach kommt, was richtig und falsch ist. Aber der Respekt vor der Wirklichkeit
der real existierenden Menschen, und vor der Komplexität der Weltgeschichte ist wesentlicher als
Märchengeschichten für kleine Kinder.
Mit offenen Fragen kann man doch gut durchs Leben gehen. Essen was schmeckt, und für einen bezahlbar
ist, gucken, was man noch so alles leckeres mal kochen kann, ist doch besser als in der
Apothekerzeitschrift wieder die neuesten Gesundheitstipps zu lesen und sich sorgen um seine
Ernährung zu machen. Gucken, was die reale Liebe gerade so macht, ist doch weiterführend als
irgendwelche neuesten Psychologentips für die perfekte Beziehung zu lesen, die dann doch an den
Haaren herbeigezogen sind und der Komplexität und der Einmaligkeit des menschlichen Beziehungslebens
nicht gerecht werden können.
Ist Mitdenken denn selten geworden? Gucken was wirklich passiert, bzw. was nicht passiert und nur
Medienfurz ist und in Wirklichkeit völlig irrelevant ist. Das eigene Leben leben und gucken, wie
man das anpacken und umsetzen kann. Sich keine nutzlosen Erwartungen an das konkrete Leben zu
machen. Keine eigenen Erwartungen auf unsicherer Grundlage und schon gar keine Erwartungen und
Vorstellungen von irgendwelchen Psychologen, Biologen oder Pädagogen. Die machen zwar auch nur
ihre Arbeit, aber die Realität des menschlichen Lebens ist von einer Komplexität, gegen die man
mit den üblichen wissenschaftlichen Methoden auch beim besten Willen eben nur wenig ausrichten kann.
Ideale hören sich meist gut an, sind aber wenig sinnvoll, sie sind ja gerade Extremverkürzungen
der komplexen Realität, gerade mal so simpel, dass man sie noch schnell auswendig lernen kann. Aber
sie sind so geschickt konstruiert, dass sie dich wie ein Virus infizieren und einnehmen können, da
muss man aufpassen. Die Suche nach dem perfekten Partner und nach der perfekten Liebesbeziehung
führt bekanntlich in den Beziehungsschaden und am Ende in die Einsamkeit. Mit politischen und
religiösen Idealen ist das nicht anders, zusammengestrickt zur Ideologie wird es zu einem Programm,
das um seiner selbst willen existiert und die Menschen banane macht. Der Blick auf die Wirklichkeit
schrumpft zusammen, die Idealisten werden zu Verbreitungsautomaten und bis in den Alltag hinein
behindert.
Der Stress, der von den Idealisten ausgeht, ist enorm. Gesundheitsfanatiker sind zur Zeit eine
zunehmende Bedrohung für den Alltag der Menschen. Z.B. Raucher werden immer mehr ausgegrenzt,
pathologisiert und mit Strafsteuern terrorisiert, obwohl sie für die Kranken- und
Rentenversicherungen billiger sind als Nichtraucher. Obwohl Raucher schon süchtig sind, wissen
sie dennoch selber was sie tun und welche Therapien sie nicht machen wollen, weil sie sehen wie
wenig erfolgversprechend sie sind und welchen Stress die Therapie macht und auch welchen Stress
die Abstinenz mittelfristig verursacht, selbst wenn sie gelingt.
Klimaschutz hört sich auch schön eingängig an, der Verdacht auf Ideologie kann da aufkommen.
Allerdings ist die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre ausnahmsweise tatsächlich eine
simple, eindimensionale Zahl mit recht klarer Klimawirksamkeit. Da wird sich gerade Wahlkampfgerecht
gestritten, ob der Verbrennungsmotor verboten werden soll oder nicht. Ich brauche überhaupt kein
Auto, als Innenstadtbewohner brauche ich nur mein Fahrrad, noch nicht mal ein Elektrofahrrad macht
für mich Sinn. Worum streiten die sich da? Ich glaube nicht, das es dabei um Klimaschutz oder
Luftbelastung geht, es geht wohl eher um Umsatz. Die bringen das fertig und verschrotten die ganzen
Mogeldieselautos, auf Kosten der Kunden und der Steuerzahler, und kürzen uns den Regelsatz, damit
sie Geld haben um Elektroautos subventionieren zu können. Klimaschutz? Der Staat sollte mal lieber
gute Radwege bauen. Dann könnte man sogar ohne Helm Fahrrad fahren.
Wirtschaftswachstum und Bruttosozialprodukt sind auch schöne, eindimensionale Zahlen. Über den Sinn,
die Wirkungen und die Nebenwirkungen der Wirtschaftstätigkeiten sagen sie aber auch nichts aus.
Idealität statt Mitdenken, Aufdrängen von Pseudowissenschaft, und die Geschäfte damit. Der Freie
Markt, Deregulierte Banken: simple Formeln, in den 90er Jahren von der Politik der Gesellschaft
aufgedrängt, verursachten eine riesige Spekulationsblase, die dann 2008 platzte. Der Schaden war
so groß, dass er systemgefährdend war und vom Steuerzahler richtig teuer ausgeglichen werden
musste, und so noch zum Riesenprofit gerade der Verbrecher wurde, die hier die ganze Aktion
initiiert haben. Gutmenschenfaschisten machen Zwangstherapie mit schwarzer Pädagogik. Islamisten
machen sich mit Gewalt wichtig - und Sicherheitsfanatiker nehmen das dankbar an, und machen sich
wiederum wichtig, und basteln jetzt an der totalen Überwachung.
Arschlöcher sind das Salz in der Suppe des Lebens, das stimmt schon. Der Welt würde was fehlen,
wenn dieser ganze Idealistenhumbug wegfiele. Oder doch nicht? Gelassenheit und Toleranz sind hier
gefragt. Idealismus ist eine Neigung des Menschen und nicht mit der Brechstange therapierbar. Aber
Toleranz nicht ohne den gebotenen Widerstand. Der Wert der Freiheit ist sehr groß. Wenn sie weg ist,
merkt man das erst, das muss man sich vor Augen halten. Man kann nicht einfach Religion verbieten.
Wenn die Menschen das noch nicht schnallen, muss man eben noch 50 Jahre geduldig weiter daran
arbeiten, die Menschen aus ihrer Realitätsverkürzung herauszuholen.
(Tobias Jeckenburger)
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