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zur Chronik
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Text des Monats
Willensfreiheit und Verantwortlichkeit
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Das Menschenrecht auf Freiheit begründet sich historisch in der Auffassung, dass Männer - und
später auch Frauen und Afrikaner - genug Vernunft besitzen, dass sie selber entscheiden können,
wo sie arbeiten, was sie glauben, welche Partnerschaft sie eingehen wollen und welche politische
Partei sie wählen. Es gibt viele Diskussionen, inwieweit der Mensch einen freien Willen hat, wo der
herkommt und wo die Grenzen der Willensfreiheit liegen.
Hirnforscher plädieren gerne grundsätzlich gegen die Willensfreiheit, obwohl sie dazu gar nichts
beitragen können. Hirnforscher arbeiten gerne mit Hirnscannern, die die Aktivität der verschiedenen
Hirnregionen registrieren. Dies erlaubt aber nur eine andere Sicht auf das Treiben des menschlichen
Geistes. Natürlich passiert etwas im Gehirn, wenn es in Betrieb ist, und die einzelnen Hirnregionen
wechseln sich im Laufe der Zeit in ihrer Aktivität ab. Ziemlich nichtssagend ist das Ergebnis dieser
Hirnscanneruntersuchungen aber meistens, und was wir denken und erleben, sieht von innen gesehen
wesentlich deutlicher aus. Als bewusstes Wesen können wir uns selbst von Innen gut beobachten. Der Blick
von außen tut da kaum was zur Sache. Die Frage, was Willensfreiheit ist, wird hier nicht mal angeschnitten.
Auch experimentelle psychologische Untersuchungen ohne Hirnscanner sind wenig relevant: meistens werden da
die Probanden in dem Versuchsaufbau gezielt getäuscht, um dann die folgende spontane provisorische Reaktion
zu registrieren. Die Probanden haben meistens keine Zeit, sich eine Strategie zu überlegen. Im realen Leben
ist das ziemlich belanglos, nur wo spontane Entscheidungen stattfinden, kann man die so gewonnenen
psychologischen Erkenntnisse sinnvoll nutzen. Wenn es drauf ankommt, beschäftigt sich der Mensch richtig mit
seiner Situation, guckt, dass er weiß, was gespielt wird, sucht sich Hilfe im sozialen Umfeld und bei
Experten, betrachtet die sich bietenden Möglichkeiten und guckt dann erst wie er vernünftig reagiert.
Manchmal braucht es auch Mathematik, z.B. wenn man überlegt, ob man sich eine Eigentumswohnung leisten kann.
Aber da kann man auch Helfer finden, z.B. Kreditberater seiner Bank, sofern man dem Experten vertrauen kann.
Hauptsache, man kennt am Ende der Suche die wichtigsten Möglichkeiten, die sich bieten, dann kann man sich
an die Entscheidungsarbeit machen.
Im gesunden Prozess vernünftiger Entscheidungen ist die Suche nach den Möglichkeiten dann auch die wichtigste
Aufgabe. Dass braucht viele Informationen und viel Zeit. Die Möglichkeiten, auf die man kommt, entscheiden
meistens darüber, welche Entscheidung man am Ende trifft. Dieses frei tun zu dürfen, ohne dass man von
jemand anderen in betrügerischer Weise bevormundet wird, macht die juristische Willensfreiheit aus.
Spontane Kleinentscheidungen sind natürlich leicht manipulierbar. Vorsichtig, wie der Mensch ist, kann man
ihn meist nur bei Kleinigkeiten überrumpeln. Wenn es drauf ankommt und der Mensch Zeit hat, überlegt er
erst einmal gründlich, und guckt genau was er macht. Weil die Entwicklung der Kenntnisse über die
existierenden Möglichkeiten so umfangreich ist, braucht es auch 20 Jahre, bis ein Mensch richtig erwachsen
ist. Das ist letztlich dasselbe wie die Ausreifung des Gehirns, beschreibt die Mündigkeit eines Menschen
aber genauer.
Viele Möglichkeiten beinhalten auch Risiken, und oft ist man dann auch für Schäden verantwortlich, wenn
die Sache schief geht. Das kann man nicht trennen, und zur juristischen Willensfreiheit gehört dann auch,
dass man einerseits Risiken eingehen darf, und andererseits dann auch für die Schäden gerade stehen muss,
wenn welche auftreten. Oft ist das so normal, dass Schäden entstehen können, dass man sich dagegen
versichern muss, z.B. die Haftpflichtversicherung für Autos. Auch eine GmbH ist im Insolvenzfall komfortabel,
man haftet dann bei einer Pleite nur mit der Einlage und nicht mit seinem Privatvermögen. Hier gibt es
ungewohnte Freiheiten, die es erlauben, wirtschaftliche Risiken einzugehen, die dann reichlich Geschädigte
hinterlassen können, ohne dass man dafür aufkommen muss.
Ist der Mensch psychisch krank, kann er sich tatsächlich zu allerlei Unsinn entscheiden. Die Willensfreiheit
ist dann mehr oder weniger eingeschränkt. Aber absolut muss dass nicht gelten, auch ein schwer psychotischer
Mensch kann noch gut entscheiden, welches Essen er bestellen und essen möchte. Und auch psychisch Gesunde
wissen nicht immer, was sie tun, und kaufen z.B. Autos, die sie kaum brauchen, oder suchen sich Lebenspartner,
die gar nicht zu ihnen passen. Wie sieht der Übergang von der Willensfreiheit zur Unzurechnungsfähigkeit aus?
Bei einfachen Angststörungen, wenn z.B. jemand Angst vorm Straßenbahnfahren hat, wird er versuchen, mit dem
Auto oder dem Fahrrad zu fahren, einen Mitfahrer zu finden oder er wird versuchen, Fahrten ausfallen zu
lassen. Das ist angesichts der Logik nachvollziehbar, kann die Lebensführung aber schon behindern. Die
Angst schafft hier Fakten, die bei den Entscheidungen mitberücksichtigt werden.
Manch einer fühlt sich schnell angegriffen, und meint gleich, er würde hier wie meistens überall gemobbt.
Andere geben schnell auf, sobald auch nur kleine Schwierigkeiten auftauchen. Wieder andere müssen alles
in Perfektion machen, und setzten sich und Andere sinnlos unter Druck. Derart neben der Spur zu sein ist
auch jenseits von psychischer Krankheit noch verbreitet. Im Lebenskampf bleibt ganz viel liegen, und wird
sehr provisorisch kategorisiert und in Schubladen weggepackt. Auch in psychischen Krisen packt man vieles
in Schubladen, die so nicht unbedingt Sinn machen. Die Willensfreiheit ist hier schon eingeschränkt, die
Entscheidungen werden hastig und unausgereift, es werden viel zu wenige Möglichkeiten gesammelt und
verglichen.
Wenn die psychische Krise akut wird, und man dann nicht mehr arbeiten kann, selbst das Einkaufen kaum noch
geht und die Ordnung in der Wohnung schon lange nicht mehr funktioniert, wird man dann auch als psychisch
Krank eingestuft. Wenn man Wahnideen hat, verleiten diese schnell dazu, allerlei Unfug zu machen, und
niemand versteht mehr, was man da tut. Das Umfeld bekommt zwar schnell mit, dass man offenbar krank ist,
aber welche speziellen Wahnideen dahinter stecken, weiß meistens keiner. Auch kann die Stimmung extrem gut
oder schlecht sein, und auch öfter wechseln, ohne dass das jemand nachvollziehen kann.
Wer Symptome zeigt, wird zusätzlich schnell überall ausgegrenzt und gemobbt. So ganz unter Druck geraten
ist man dann, man kommt gar nicht mehr hinterher, seine Situation zu kontrollieren. Der Überblick geht
verloren, der private Papierkrieg wächst einem über den Kopf und chronische Überlastung stellt sich ein.
Die Willensfreiheit geht zusehends im Stress unter, die Dinge, auf die es für einen selbst wirklich ankommt,
bleiben liegen. Die Möglichkeiten für gute Lösungen bleiben außerhalb der Reichweite, und es setzt Stillstand
ein.
Der Stresslevel ist jetzt unerträglich, die einen liegen im Bett und können gar nichts mehr machen, andere
reagieren entgegengesetzt in dem sie ganz euphorisch nur noch Blödsinn machen. Sachschäden und
Beziehungsschäden stellen sich ein, und der Schaden an der eigenen Psyche wächst mit. Mit überfülltem
Nervensystem, dass keine Ruhe und keine Zeit mehr hat, die Dinge gut zu beurteilen, und eben nicht mehr
vernünftig reagieren kann, steht man dann da und braucht Hilfe.
Medikamente und Tagesstruktur werden in den psychiatrischen Kliniken angeboten, und man ist auch erst mal
die Anforderungen der Haushaltsführung und seine akuten Probleme auf dem Arbeitssektor los. Manch einer
braucht auch einen guten Sozialarbeiter und später einen Betreuer, der den vielen Unsinn, den er angestellt
hat, wieder gerade biegt. Klärende Gespräche über die Krankheit und über die persönlichen aktuellen Probleme
in der Lebensführung wären von Anfang an hilfreich, leider geht man damit in der Klinik sehr sparsam um.
Kindheit und Lebensgeschichte und die Krankengeschichte werden dagegen gerne hochgehalten, aber die kann
man nicht mehr ändern. Die aktuelle Situation und die soziale Lage sind maßgeblicher, und vor allem kann
man da meistens was dran machen. Neben den Medikamenten muss Hilfe denn auch genau hier ansetzen, dass der
psychisch Kranke seine Lebensverhältnisse so ordnet, dass er wieder Luft zum Leben hat. Sobald dann wieder
Ruhe einkehrt, kommt dann auch die Willensfreiheit relativ schnell zurück.
Die Einschränkung der Willensfreiheit in der psychischen Krise bedeutete hier einfach, dass der Mensch noch
nicht die Ruhe und die Zeit hatte, einen fundierten Willen zu finden. Vom Lebenskampf überrollt sozusagen,
mit dem Managen der angesammelten Provisorien überfordert. Und wo keine Willensfreiheit mehr ist, wird es
auch mit der Verantwortung schwierig.
Ähnlich wie eine psychische Krise stelle ich mir auch den Kampf der Soldaten mitten im Krieg vor. Inmitten
von unübersichtlichen Gefechtssituationen muss man mangels Kontrolle das eigene Leben aufs Spiel setzen,
und muss z.B. oft Gefangene erschießen, weil man gerade keine Zeit hat, sie zu verwahren und zu versorgen,
weil der Kampf sofort weitergehen muss. Solch eine Überforderungssituation kann ganze Gesellschaften erfassen,
wenn eine kriminelle Regierung die bürgerlichen Freiheiten aufhebt und quasi Kriegsrecht herrscht. Die einen
werden manisch, und jubeln den Schlächtern zu, die andern werden depressiv, und halten lieber ganz den Mund.
Wer noch einen kühlen Kopf behält, der lebt gefährlich, oder schließt sich sicherheitshalber dem
Verbrecherregime an.
In derartige Verhältnisse möchte man nicht gerne herein geraten. Im zivilen Leben möchte jeder seine eigenen
Deals machen. Abhängig zu sein heißt, im Konfliktfall in seinen Interessen ignoriert zu werden. Der Soldat
muss gehorchen, ob er selber sein Leben riskieren will, interessiert nicht. Willensfreiheit ist hier illegal,
und Verantwortung wird in der Befehlskette solange nach oben gereicht, bis sich die Sache verläuft.
Unterdrückung ist immer auch ein Angriff auf die Willensfreiheit und hat viele Gesichter. Psychisch Kranken
passiert es oft, dass ihr Wille absichtlich verworfen wird, obwohl ihr Wille durchaus normal und frei ist,
weil jemand auf diese Weise einen Interessenkonflikt für sich entscheiden kann. Wo Macht gewonnen und Geld
verdient wird, passiert das regelmäßig. Z.B. gilt Rauchen als Suchterkrankung, also wird der Wille zum
Rauchen einfach für unfrei erklärt, um dann die horrenden Tabaksteuern rechtfertigen zu können. Da geht es
mitnichten um die Gesundheit der Raucher, sondern nur um die beträchtlichen Einnahmen, die der Staat mithilfe
der Sucht erzielen kann. Früher hieß es mal, das wäre ein Ausgleich für die Kosten, die durch Tabakkonsum
bedingte Krankheiten die Gesellschaft kosten. Schon seit 25 Jahren weiß man, dass Raucher deutlich weniger
Krankenkosten verursachen, was an dem häufigerem schnellen und kostengünstigen Abgang durch Herzinfarkt oder
Schlaganfall liegt. Das interessiert den Staat aber nicht, die Tabaksteuern werden weiter schön gleichmäßig
erhöht, und nur nicht zu viel auf einmal, damit möglichst wenige Raucher das Rauchen aufgeben.
Insbesondere Interessendifferenzen sind in sozialen Beziehungen mit einem Machtungleichgewicht zu
respektieren. Einfach die Interessen Unterlegener zu pathologisieren und damit beiseite zu wischen ist unfair
und manchmal richtig kriminell. Freiheit bedeutet dem Experten sagen zu dürfen: "Ich mach hier was ich
will - vielleicht hast du mehr Ahnung von der Sache, aber ich traue Dir nicht". Das ist die Substanz der
Freiheit im Konkreten. Der Wert der Freiheit ist hier, dass man seine eigenen Angelegenheiten auch sicher
im eigenen Interesse regeln darf, auch wenn man kein versierter Experte ist. Der Preis der Freiheit ist,
dass manchmal doch nicht das optimale Ergebnis dabei herauskommt.
(Tobias Jeckenburger)
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