|
zur Chronik
|
Text des Monats
Wie respektiert man Verrückte?
|
|
Immer wieder erleben psychisch Kranke, dass sie nicht respektiert werden. Insbesondere Krankenpfleger in der
Psychiatrie fallen durch Respektlosigkeit gegenüber ihren Patienten auf. Hier ist das besonders schmerzlich,
ist man doch dort meistens mehr oder weniger zwangsweise untergebracht, und man kann da nicht weg. Zusätzlich
ist man auf Hilfe angewiesen, damit sich der eigene psychische Zustand bessert, dass man von seinen Wahnideen
runter kommt und dass sich die Gefühlslage stabilisiert.
Die Länge der Verweilzeiten ist hier ganz entscheidend. In normalen Krankenhäusern ist man nur Tage oder
Wochen, und hier gibt es grüne Damen, die Gespräche anbieten und Besorgungen machen. Die gibt es in der
Psychiatrie nicht, und hier verweilt man eher Monate.
Lebenspraktische Kleinigkeiten wie Ersatzkleidung, Zahnbürste, Ohrstöpsel gegen Schnarcher und zwischendurch
mal eine Schnitte Brot oder ein Glas Saft wären wohl selbstverständlich, die Realität in den Kliniken bietet
oft nicht mal das. Regelmäßige Gespräche zwischen Personal und Patient finden kaum statt, vor allem wenn man
verrückt ist. Haben die Krankenpfleger einfach keine Lust, oder keine Zeit oder wissen die gar nicht, wie man
sich mit Verrückten doch auch unterhalten kann?
Meinen die, dass man die Patienten besser im eigenen Saft schmoren lässt, oder versucht man einfach
sicherheitshalber aus der Schusslinie zu kommen, falls der Patient mal handgreiflich wird?
Aus meiner Erfahrung als Mitpatient weiß ich ganz gut, welche Geschichten von akut psychotischen Menschen
ich mir noch anhören kann. Ich kann auch durchaus respektvolle und ausreichend distanzierte Kritik an
Wahnideen äußern, ohne hier gleich Streit oder gar Gewalttätigkeiten befürchten zu müssen. Wichtig ist hier,
dass ich mein Gegenüber nicht entwerte, sondern einfach nur meine eigene Einschätzung äußere, wie ich die
Realität mit meinen Mitteln einschätze. Wenn es mir zu viel wird, kann ich sagen, dass mir das jetzt zu
anstrengend wird, ohne dass ich hier entwerten muss.
Verrückte sind ja nicht unbedingt ganz ohne Verstand. Die Wahnideen sind in der Akutphase zwar maßgeblich,
aber man kann ja auch mit den Patienten über weniger kritische Themen reden, die vom Wahn nicht betroffen
sind, und so soziale Interaktion realisieren. Weitgehend normale Unterhaltung über normale Themen kann sogar
helfen, die Normalität zurückzuholen.
Wir haben auch in unseren Selbtshilfeprojekten kriselnde Mitstreiter bei Veranstaltungen ausnahmesweise mal
rausgeschmissen, weil wir so nicht mehr arbeitsfähig waren. Wichtig ist hier, wie man das macht. Wenn man
ganz klar sagt, wir wollen hier Ergebnisse erzielen, z.B. an unserer Vereinszeitung arbeiten, und mit dem
Chaos dass du hier verbreitest, können wir unser Ziel nicht erreichen. Das ist das zwar hart, aber akzeptabel.
Man muss gucken, dass der Verrückte versteht, dass er hier tatsächlich in seinem Zustand irgendwie
arbeitsunfähig ist und deshalb den Betrieb aufhält.
Natürlich helfen in psychotischen Krisen letztlich vor allem die Medikamente, aber solange es einem noch
nicht besser geht ist man doch Mensch und hat menschliche Bedürfnisse, zu der eben ganz wesentlich auch
sozialer Austausch gehört. Der ist auch noch realisierbar, wenn der Mensch noch verrückt ist, und das kann
eine Genesung in jedem Fall unterstützen.
Gerade wenn die Medikamente erst mal nicht viel helfen, sind manchmal sogar Psychiater regelrecht aggressiv, wie aus
Frust über die Erfolglosigkeit der eigenen Behandlung. Das ist keine gute Einstellung. Die akuten Lebensverhältnisse
müssen geklärt und in Ordnung gebracht werden, dafür braucht es fleißige Sozialarbeiter und Betreuer und oft auch seine
Zeit. Wenn es ungünstig läuft, kann man die untragbare Lebenssituation über Jahre gar nicht verbessern, so dass sich
dann mittelfristig eine Drehtürkarriere entwickelt. Gerade dann muss ein soziales Leben in der Klinik stattfinden,
nicht nur in der Arbeitstherapie, sondern auch auf den Stationen. Dafür braucht es Krankenpfleger, die willens und
fähig sind, auch Verrückte zu respektieren und mit ihnen in sozialen Austausch treten können.
Genesungsbegleiter mit Ex-In-Ausbildung sind hier sicher kompetent, und von denen könnte sich auch das
professionelle Personal mal abgucken, wie man Verrückte respektiert.
(T. J.)
|
|