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zur Chronik
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Text des Monats
Liebessalami
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Lisa hat besonders gute Laune, denn es ist heute ein schöner Sommertag mit einigen weißen Wolkentupfern am Himmel. Sie trägt ihr
Lieblingskleid mit den großen Blumen auf grünem Grund. Ihr Arbeitstag als Ökotrophologin war heute sehr erfolgreich gewesen, sie
hatte etwas Neues herausgefunden und war vom Chef dafür gelobt worden.
Doch jetzt gilt es für das eigene leibliche Wohl zu sorgen. Lisa lässt es sich nicht nehmen, selbst zu kochen. Sie ist ernährungsbewusst
und Vegetarierin. Schon bald fällt ihr ein gutes Rezept zum Kochen ein: Ein vegetarischer Nudelauflauf mit Tomaten, Auberginen und Zucchini!
Ihre Schritte steuern auf einen Lebensmittelmarkt zu. Eine leichte Brise kommt auf und lässt das Blumenkleid schwingen. Auch ihre Haare flattern im Wind,
als sie den Lebensmittelmarkt betritt.
Hier ist sie Stammkundin, da sie herausgefunden hat, dass dieser Markt das beste Preis-Leistungsverhältnis und die beste
Auswahl an Produkten hat. Lisa steht jetzt im Obst- und Gemüsebereich, als sie den Probierstand entdeckt. Dort stehen der ihr bekannte
Marktleiter mit einem anderen Mann im Anzug und eine Verkäuferin in der dem Markt üblichen Arbeitskleidung. Hier wird Salami und eine
andere Wurst der Marke Wiltmann angeboten.
Lisas Augen bleiben an dem Mann mit Anzug hängen; wie schöne Augen er doch hat! Die schönen graugrünen Augen passen gut zu dem
hellgrünen Hemd mit dunkelgrüner Krawatte. Seine dunkelbraunen Haare glänzen im Neonlicht. Wie alt mochte er sein? Er hatte schon
leichte Geheimratsecken, Lisa schätzte in auf ca. 35 Jahre, da war sie sich sicher. Er ist etwa 1,85 m groß und hat sehr breite Schultern,
was Lisa gut gefällt. So schnell hatte Amors Pfeil noch nie zugeschlagen.
Sie näherte sich weiter dem Probierstand, an dem sie der Marktleiter begrüßte: “Hallo Lisa, ich weiß, dass sie Vegetarierin
sind, vielleicht...” Schon fiel ihm der Anzug-Mann ins Wort: “Da haben Sie meine Wurst noch nicht probiert, dann sind Sie nicht mehr Vegetarierin, so gut
schmeckt die Salami!” Lisa klang noch seine Stimme wie Musik in den Ohren, schon hat er ein Probierstückchen mit Salami zubereitet.
Lisa schiebt alle Einwände beiseite und genießt das Probierstückchen.
“Ich heiße übrigens Claudius”, stellt sich der Anzug-Mann vor. Der Marktleiter blickt erstaunt und schweigt. “Kann ich Sie mit
der Salami überzeugen?” fragt Claudius, dessen Blick sich in ihrem verfängt. “Die Salami ist gut gewürzt und enthält zudem
nicht so viel Fett, sie wird meinen Speiseplan erweitern.” “Wenn das kein Erfolg ist, eine Vegetarierin für das Wurstprodukt zu gewinnen”,
konstatierte Claudius. Sie lachen sich beide an, er reicht ihr eine weiteres Stück Wurst mit den Worten “Ich gebe Dir meine Visitenkarte, vielleicht
kann ich dich ja auch mit anderen Dingen überzeugen!” Lisas Herz klopfte wie wild und sie hofft nicht zu erröten, was aber dennoch geschieht.
Ein Blick auf die Visitenkarte zeigt, dass er der Wurstfabrikant ist. Sie bedankt sich und sagt: “Ich bin von Beruf Ökotrophologin, da können wir
uns bestimmt gut unterhalten!” Erfreut lädt er sie sogleich auf einen Kaffee im Café nebenan ein.
Sie unterhalten sich lange und intensiv über den Lebensmittelmarkt, als ein leises Donnergrollen aufkommt. Aus den kleinen, weißen Wolken sind
bedrohlich große graue Haufenwolken geworden, jetzt fängt es an zu regnen. Doch zum Glück hat er den Wetterbericht gehört und
folglich einen Schirm dabei. Sie hakt sich unter und so bringt er sie zu ihrem Auto in der Nebenstraße. Sie können voneinander
nicht lassen und so gibt er ihr zaghaft einen Kuss, der immer leidenschaftlicher wird. Sie verabreden ein weiteres Treffen im
Café und sie steigt ganz benommen vor Glück in ihr Auto und fährt heim.
Ihre Gedanken überschlagen sich. Sieben Jahre ein Hafen der Langeweile mit Emil. Es ist nicht viel passiert. Dieser Mann an meiner
Seite, körperlich fasziniert er mich nicht, wenn wir miteinander schlafen, nicht aufregend, beruhigend wie ein Valium. Ich weiß,
was mich erwartet, es passiert nichts außergewöhnliches, eine gleichbleibende Freundlichkeit. Nie hatten wir Streit, alles lief in
ruhigen Bahnen. In mir löste es Stress aus. Wir hatten jede Menge Probleme, aber er hat es verstanden in seinem Trott zu leben
und zog mich da mit rein. Mir war nach Schreien zumute. Vor sieben Jahren hatte ich in meinem Tagebuch geschrieben: “Halte ich
diesen Hafen der Ruhe aus?” Sieben Jahre ausgeruht. In mir lösen sich die Fesseln der Sicherheit. Wenn es anfängt weh zu tun,
schreit es nach Lösungen. Jetzt spüre ich mich. Genug ist genug. Dieser Hafen ist mein Leben? Körperlich fand ich ihn angenehm,
aber nicht faszinierend. Einen Mann für den Alltag, pflegeleicht. So will ich nicht alt werden. Sieben Jahre habe ich verschleudert.
Ich verkrampfte mich und mir wurde speiübel. Zeit ist mein kostbarstes Gut. Wie gehe ich mit meinen Bedürfnissen um? Diese Art von
Sicherheit hat einen hohen Preis. An seiner Seite werde ich müde. In mir schreit es nach Lust und mehr. An seiner Seite vergesse
ich das Atmen, und ich habe den Wunsch zu leben.
Wie gewohnt kommt Emil am späten Nachmittag nach Hause in die Wohnung, in der er seit sieben Jahren zusammen mit Lisa lebt.
Der Abendbrottisch ist liebevoll gedeckt. Neben den belegten Broten gibt es auch Radieschen, Tomaten, Gürkchen und Grünzeug zu essen.
Auf dem Tisch liegen ein Lineal, ein Reisemagazin und ein Scrabblebrett. Außerdem ein rotes Päckchen. Emil fragt: “Warum liegt denn
auf dem Scrabblebrett das Wort “Sternstunde”? Wie kommt denn die Salami auf den Tisch? Wir sind doch Vegetarier! Du hast doch immer
alles Fleisch so leidenschaftlich abgelehnt, weil es grausam, brutal und lebensverachtend ist!” Lisa geht darauf gar nicht ein,
sondern erwidert: “Die Verlobungsringe in dem roten Päckchen sind nicht für dich gedacht. Ich werde unsere Beziehung beenden.
Ich habe einen Mann kennengelernt bei dem ich wieder Herzklopfen spüre, Gemeinsamkeiten entdecke, die bei uns nicht da sind.
Ich möchte aus unserem Lebenstrott heraus. Wann war unsere letzte Sternstunde? Wann reden wir einmal miteinander?
Warum wir zusammenleben weiß ich mittlerweile nicht mehr.” Emil stockt der Atem. Es entsteht eine lange Pause. Das Unfassbare
wird fassbar und Emil meint: “Lass' uns neu anfangen. Unsere Lebenswege trennen sich und ich stimme dir zu, dass jeder seine
Bedürfnisse leben soll und sich selbst dabei nicht vergisst. Ich finde es erschreckend, dass ich es nicht gemerkt habe, und du
mir die Augen öffnen musstest."
Mit Claudius hat das Leben eine glückliche Wendung genommen. Ja, die Salami am Probierstand hat ihr Glück gebracht!!!
(Heike Zimmermann / Michael Günther / Heidi Waldstädt)
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